Reifung des Weins

Nicht selten ist zu hören, dass der Wein noch „reifen“ müsse. Was bedeutet das?

Das Reifen des Weins heisst, dass der Wein noch Zeit braucht, damit er sein ganzes Potential entfalten und zeigen kann.

Viele Weine sind in jungen Jahren sehr gerbstoffreich (tanninreich), säurereich und auch verhalten in der Aromatik im Gaumen. Sie wirken daher pelzig, sauer und trocken. Infolgedessen sind sie geradezu ungeniessbar oder zumindest unausgeglichen. Erst mit der richtigen Reifung wird das Tannin weich, die Säure mild und die Aromen entwickeln sich. Das heisst, erst durch die Reifung wird der Wein ausgewogen und komplex.

Achtung: Nicht alle Weine sind geeignet für eine Reifung! Die meisten Weine sollten jung getrunken werden.

Man verwechselt gerne Reifung mit der Zeit, die ein Wein noch frisch in der Flasche bleiben kann. Weine, die jung getrunken werden müssen, können in den meisten Fällen noch 2-4 Jahre im Keller liegen. Sie profitieren aber nicht von einer Reifung. Sie werden schlichtweg alt und müde.

Um das Thema Reifezeit zu verstehen, braucht es gewisse Kenntnisse: Als erstes sollte man wissen, wie Einflussfaktoren der Reifung wie Tannin, Farbe, Säure, Alkohol und Zucker im Wein entstehen. Danach betrachten wir die Regeln der Reifung und zuletzt Beispiele dazu.

Einflussfaktoren der Reifung

Tannin

Durch das Tannin erhält der Wein Struktur und Körper.

Wie fühlt sich Tannin an?

Tannin hinterlässt auf der Zunge und Zahnfleisch eine pelzige Schicht. Der Gaumen fühlt sich rau und trocken an.

Wie entsteht Tannin?

Durch die Haut der Traube

Die Haut ist bei jeder Traube unterschiedlich dick. Je kleiner die Traube desto dicker die Haut und desto mehr Tannin hat der Wein. Daher sind Esstrauben eher gross und voll und daher sehr fruchtig und saftig. Weintrauben dagegen sind eher klein und etwas zäh, wenn man Sie roh isst, haben aber mehr Konzentration für die Weinherstellung.

Tannin durch Mazeration

Mazerieren ist die Gewinnung von Extrakten durch das Ziehen-Lassen von Pflanzenteilen. Rotwein-Trauben werden mit der Haut zusammen Tage bis sogar Wochen mazeriert. Das Tannin entsteht durch die Mazeration der Traube mit der Haut zusammen.

Weissweine haben nur selten eine Tannin-Struktur, weil die Weissweintrauben nur kurz mit der Haut mazeriert werden. Nach einigen Stunden werden die Trauben bereits gepresst und danach gekeltert, weshalb nur wenige oder überhaupt keine Tannine entstehen können.

Tannin durch die Reifung im Holzfass

Die Pinot-Noir-Traube zum Beispiel hat von Natur aus mittleres bis wenig Tannin, aber durch die Reifung und sogar bei manchen Fällen auch die Mazeration und Fermentation (Gärung) im Holzfass bekommt der Wein eine gute Tannin-Struktur. Sehr gute Beispiele sind Pinot-Noir-Weine aus dem französischen Burgund.

Tannin durch die Kerne und Stängel

Die Kerne der Trauben enthalten Tannine. Daher ist es sehr wichtig, dass die Trauben bei der Ernte reif sind. Ansonsten würden die Kerne Bitterstoffe abgeben.

Die Stängel der Trauben enthalten auch Tannine. Früher wurde die ganze Traube mit Stängeln fermentiert. Die Stängel tragen dazu bei, dass es bei der Fermentation einen optimalen Sauerstoff-Austausch gibt, geben aber sehr viel Tannine ab.

Die Weine brauchten früher daher immer lange Reifeperioden, weil die Tannin-Struktur durch die Mit-Fermentation der Stängel zu hoch war. Die meisten Winzer entrappen jetzt die Trauben so, dass nur die Tannine aus der Traube freigesetzt werden und daher mehr Aromatik entstehen kann und keine lange Reifezeit gebraucht wird.

Das Entrappen wird von vielen Winzern aufgrund der globalen Erwärmung dagegen zum Teil auch wieder reduziert. Das Mit-Fermentieren der Stängel ist deshalb eine Gratwanderung, um ausgeglichene Weine in Anbetracht von Aromatik und Reifezeit zu erlangen.

Farbe

Auch die Farbe entsteht durch die Haut der Traube.

Viele glauben, dass nur Weine mit intensiver Farbe komplex sind und gut reifen können. Das ist jedoch falsch! Manche Trauben, die von Natur aus wenige Farbpigmente haben und daher den Wein sehr hell erscheinen lassen, brauchen eine lange Reifezeit  wie zum Beispiel Qualitäts-Riesling-Weine aus Hanglagen aus der Moselregion in Deutschland oder Nebbiolo-Trauben aus der Barolo Region.

Bei Riesling-Mosel-Weinen aus Hanglagen ist die Farbe im Glas fast transparent, durch einen hohen Zucker- und Säuregehalt brauchen sie aber Reifezeit, um ausgewogen zu werden. Ein guter Barolo braucht aufgrund der sehr hohen Tannin-Säure-Struktur aussergewöhnlich viel Reifezeit, um vollmundig, aromareich und ausgewogen zu werden. Die Farbe eines Barolos ist aber bekannterweise ziemlich hell.

Interessant ist auch, dass sich die Farbe durch die Reifeperiode verändert. Man kann an der Farbe leicht erkennen, wann ein Wein gereift ist. Helle Weissweine erhalten einen goldenen bis bernsteinfarbenen Ton. Je dunkler der Ton, desto mehr gereift ist der Wein. Rotweine entwickeln einen orangen-bräunlichen Ton, der sehr gut am Rand des Glases zu erkennen ist.

Säure

Säure spendet dem Wein Frische und Lebendigkeit.

Wie erkennt man einen hohen Säuregehalt im Wein? 

Hohe Säure erzeugt im Mund viel Speichel.

Insbesondere bei Rotweinen lässt sich leicht ein hoher Säuregehalt erkennen. Das pelzige Gefühl des Tannins wird durch den hohen Speichelfluss schnell beseitigt. Bei wenig Säure dagegen bleibt das pelzige Gefühl und der Wein wirkt trocken.

Wie entsteht Säure?

Durch den natürlichen Säuregehalt der Traube

Es gibt Trauben, die einen natürlichen, niedrigen Säuregehalt haben – wie zum Bespiel die Rotweintraube Primitivo – oder die einen natürlichen, hohen Säuregehalt haben – wie die Weissweintraube Riesling.

Region und klimatische Verhältnisse

Es gibt Regionen, die klimatisch kühler sind als andere und deshalb bekannt für Trauben mit hohem Säuregehalt, wie die Champagne. In kühleren Regionen werden Trauben gepflanzt, die für eine optimale Reifung keine warmen oder heissen Voraussetzungen benötigen. Nicht jede Traube braucht viel Sonne und warmes Klima.

Typische Einflussfaktoren für Säure sind

  • Kalte Gewässer und deren kühlende Winde

Es gibt Regionen, die sehr nahe an kalten Gewässern und deren kühlenden Winden liegen, wie z. B. Sacramento Valley in Kalifornien am nahen Pazifik bei San Francisco mit kalten Meeresströmungen aus Alaska, wodurch die Trauben mit kühlenden Nächten und Vormittagen konfrontiert sind. Ein weiteres Beispiel ist die Vinho Verde Region im Norden Portugals.

  • Höhe der Region und Bergwinde

Beispiele hier sind die Ribera del Duero Region in Spanien, das Wallis in den Alpen oder die Dolomiten im Trentino Alto Adige (Südtirol).

  • Terrassierung der Weinberge

Je höher die Rebstöcke am Hang liegen, desto kühler ist die Temperatur. Wie zum Beispiel die terrassierten Weinberge in der Côte-Rôtie Weinbauregion des nördlichen Rhonetals in Frankreich oder die terrassierten Weinberge des Dézaley Grand Cru im Weinbaugebiet Lavaux am Genfersee in der Schweiz.

  • Zeitpunkt der Ernte

Ganz wichtig ist, dass die Traube auf dem Traubenstock die optimale Reifezeit hatte, sonst wird der Wein zu sauer.

Alkoholgehalt

Alkohol ist ein gutes Konservierungsmittel und daher für die Lagerfähigkeit und Haltbarkeit wichtig. Alkohol verbessert aber nicht die Reifung des Weins.

Zucker

Zucker ist auch ein Konservierungsmittel im Wein, aber nur in Kombination mit hoher Säure  wie zum Beispiel Sauternes aus der Bordeaux-Region  für die Reifung wichtig.

Wenn ein Wein einen hohen Zuckergehalt, aber wenig Säure besitzt, wird er bei zu langer Reifung im Keller plump und müde.

Fazit

Nicht alle Weine brauchen eine gleich lange Reifezeit. Es gibt viele Weine, die sehr aromatisch sind, weiche Tannine und milde Säure haben. Diese Weine sollte man jung geniessen. Es wäre eine Schande, solche Weine durch eine lange Reifung zu zerstören.

Weine, die Reifung brauchen, sind komplexe, komplizierte Weine, die man verstehen muss, um Freude an ihnen zu haben. Sie sind im jungen Stadium unbalanciert, z.T. ungeniessbar, weil sie eine zu hohe Tannin-Säurestruktur haben und viel zu herb, trocken und sauer wirken. Sie sind unausgewogen und brauchen die richtige Reifezeit, um ihre Magie zu zeigen.

Man braucht Zeit, einen guten Weinkeller mit idealer Temperatur und auch etwas Erfahrung, damit man richtig Spass haben kann mit solchen Weinen. Als Ergebnis hat man dann aber herrlich komplexe, interessante und spannende Weine.

Regeln der Reifung und Beispiele

Gut zu wissen

Um den Wein richtig reifen zu lassen, muss man bestimmte Regeln beachten:

Zeit: Je nach Wein muss man sich 8-20 Jahre gedulden, bis man ihn geniessen kann. Die Dauer hängt von der Weinsorte, der Region und dem Produzenten ab – und natürlich von der Tannin-Säure-Struktur des Weins.

Keller: Man braucht einen ruhigen, dunklen und gut befeuchteten Keller mit ungefähr 50-80% Feuchtigkeit oder einen Kühlschrank mit regelmäßiger Temperatur. Ideal sind 10-13 Grad, aber es darf bei Rotwein auch wärmer sein (max.18 Grad) und bei Weisswein kühler (max. 7 Grad). Die Temperatur hat einen direkten Einfluss darauf, wie schnell ein Wein reift.

Erfahrung: Um ein erfahrener Liebhaber reifer Weine zu werden, bedarf es oft vieler Jahre. Nur Erfahrung verhindert, dass der Wein zu früh oder zu spät aufgemacht wird.

Produzenten: Es sind gewisse Produzenten, die es darauf anlegen, Weine zu produzieren, die eine längere oder lange Reifung brauchen. Beispiele: Marcel Deiss im Elsass oder Weingut Zilliken in Saarburg.

Flaschenverschluss: Weine mit Korken muss man in liegender Lage reifen. Weine mit Drehverschluss können auch im Stehen reifen.

Alter der Rebstöcke: Rebstöcke, die über 50 oder mehr Jahre alt sind, bringen eine sehr kleine Ernte, jedoch mit hoch konzentrierten Trauben, weshalb diese Weine eine gewisse Reifezeit brauchen.

Regionen/Terroirs: Es gibt verschiedene Regionen/Terroirs (Bodenart, Höhe, Klima, Mikroklima und Sonnenauslage der Rebstöcke), die sehr konzentrierte Trauben ergeben. Es ist wichtig zu wissen, auf welcher Höhe (in Europa auf 300-800 m ideal) die Traube reifte, auf welcher Bodenart der Rebstock gepflanzt war (z. B. Lehm-, Kies-, Kalk- oder Schieferböden), oder ob sie der Nachmittagssonne ausgesetzt war und damit bessere Qualität aufweist als Trauben aus der Ebene mit wasserreichem Boden und grellem, tagelangem Sonnenschein. Ein Pinot Noir aus der Schweiz reift zum Beispiel ganz anders als ein Pinot Noir aus dem Burgund, und ein Nebbiolo aus Nebbiolo d'Alba unterscheidet sich deutlich von einem Nebbiolo aus der Barolo-Gegend.

Weine, die wenig oder keine Reifezeit brauchen

Viele Rotweine haben weiche und wenige Tannine, niedrigen Säuregehalt, aber sehr viel Frucht-Aromen. Diese Weine sind im Trend, weil sie herrlich aromatisch, rund und vollmundig sind und darum fast Jedem Gaumenfreude bereiten. Auf diese Weine würde sich eine Reifung negativ auswirken, weil die Weine dadurch ihre aromatische Explosion verlieren und dann flach und plump wirken würden, was niemand will. Daher sollte man diese Weine innerhalb von 1-3 Jahren nach der Produktion genießen.

Hier einige typische Weine, die jung getrunken werden sollten:

  • Sauvignon Blanc aus Neuseeland
  • Chardonnays aus USA
  • Rioja Joven
  • Monastell aus Jumilla
  • Primitivo aus Puglien
  • Nebbiolo d’Asti / Alba

Das sind längst nicht alle, und es gibt auch immer wieder Ausnahmen, um die zu erkennen braucht es Erfahrung oder einen guten Weinhändler.

Weine, die Reifezeit brauchen

Typische Weine, die aus Regionen und von Trauben stammen, die für eine längere Reifung geeignet sind:

  • Riesling aus der Moselregion, die auf den steilen Schieferboden-Hängen wachsen (Deutschland)
  • Riesling aus der Pfalz, die an sehr alten Rebstöcken oder auf speziellen Böden wachsen (Deutschland)
  • Süsse Sémillons, die mit der Edelfäule befallen waren, aus der Sauternes in der Bordeaux-Region (Frankreich)
  • Die meisten Cabernet Sauvignons
  • Nebbiolo aus dem Piemont, vor allem aus der Barolo-Region (Italien)
  • Aglianico aus Campanien (Taurausi/Italien)
  • Sangiovese aus den Regionen Montepulciano und Montalcino in der Toscana (Italien)
  • Sagrantino aus Umbrien (Italien)
  • Tannat aus Madiran (Frankreich)
  • Pinot Noir aus dem Burgund (Frankreich)
  • Einige Malbec aus Argentinien und aus Cahors (Frankreich)
  • Bordeaux Cuvées von den wichtigen und bekannten Traditions-Weingütern (Frankreich)
  • Die meisten Cuvées aus der Bolgheri-Region in der Toscana (Italien)
  • Tempranillo-Weine aus Rioja, Ribera del Duero und der Toro-Region (Spanien)

Tannat aus Madiran (Südfrankreich) und Sagrantino aus Umbrien (Italien) sind die tanninreichsten Trauben der Welt.

Es gibt aber auch Weine, die aus den genannten Regionen stammen und keine längere Reifung brauchen. Die meisten stammen aus Massenproduktion und/oder von Trauben aus sehr jungen Traubenpflanzen und/oder die Rebstöcke wachsen auf nicht optimalem Terroir (falscher Boden, zu heisses oder kaltes Klima, kaum Tag-Nacht-Temperaturunterschiede und noch vieles mehr).

Beispiele: Bordeaux Cuvées, die man im Supermarkt für CHF 10-15 kaufen kann oder Rieslinge aus der Moselregion, die in den Ebenen auf Lehmboden wachsen und auch in der oben genannten Preisklasse im Supermarkt zu finden sind.

Gesetzlich vorgeschriebene Reifeperioden im Weingut

Zu guter Letzt gibt es auch viele Weinregionen mit gesetzliche Auflagen für die Reifung des Weins. Diese Weine müssen eine gewisse Zeit in Holzfässern oder in Tanks gereift werden. Manchmal brauchen sie sogar noch eine zusätzliche Flaschen-Reifezeit im eigenen Weinkeller.

Beispiele gesetzlich vorgeschriebener Reifezeiten:

Italien:

Toscana

  • Chianti Classico DOCG:

Riserva: mindestens 24 Monate und zusätzliche 3 Monate in der Flasche

Gran Selezione: mindestens 30 Monate und zusätzliche 3 Monate in der Flasche

  • Vino Nobile di Montepulciano DOCG

DOCG: mindestens 24 Monate

DOCG Riserva: mindestens 36 Monate

Piemont

  • Barolo DOCG

Barolo: mindestens 38 Monate, davon 18 Monate in Eichenfässern

Barolo Riserva: mindestens 62 Monate, davon 18 Monate in Eichenfässern

Spanien:

  • Rioja & Ribera del Duero DOCG

Joven: brauchen keine Reifezeit

Crianza Rotwein: mindestens 24 Monate, davon 12 Monate in Eichenfässern

Crianza Weisswein und Roséwein: mindestens 18 Monate in Eichenfässern

Reserva Rotwein: mindestens 36 Monate, davon 12 Monate in Eichenfässern

Reserva Weisswein und Roséwein: 24 Monate, davon 6 Monate in Eichenfässern

Gran Reserva Rotwein: 60 Monate, davon 48 Monate in Eichenfässern

Gran Reserva Weiss- und Roséwein: 24 Monate, davon 6 Monate in Eichenfässern

Das sind nur 4 Beispiele. Es gibt viele Länder und Regionen mit eigenen Verordnungen (DOCG, AOC etc.). Viele Winzer in Regionen mit Verordnungen, wie zum Beispiel Rioja aber auch Ribera del Duero, wehren sich gegen diese Verordnungen. Der Grund ist, dass die Kenntnisse über Traubengut, Bodenbeschaffung und Feldbewirtschaftung immer besser wird, die Produktionsstätten im Weingut sehr modern und innovativ sind und daher kontrollierter und schonender gearbeitet wird (z. B. mit temperaturkontrollierten Tanks). Aber vor allem wird das Klima immer wärmer und somit das Traubengut sehr reif. Diese Kenntnisse und Fakten zeigen, dass es diese langen, gesetzlichen Reifeperioden nicht mehr braucht. In manchen Fällen sind sie sogar schädlich.

Der beste Tipp, den ich geben kann:

Lassen Sie sich in einem Weinfachgeschäft von einem Profi beraten oder informieren Sie sich selbst auf den Webseiten der Produzenten. Die meisten Weinproduzenten haben PDF-Fact-Sheets mit allen Informationen über die Herstellung, Lagerung und Reifung der jeweiligen Weine.

Jedoch am besten und einfachsten ist es, Sie lassen sich von mir beraten und kaufen den Wein bei mir… ;-)